02. August 2020
Kaller Gewerbegebiete - eine reine Erfolgsgeschichte?
In der Kölnischen Rundschau und dem Kölner Stadt-Anzeiger wurde am 29. Juli 2020 ein Artikel mit der Überschrift „Nachfrage ist größer als das Angebot“ veröffentlicht, in dem die Sichtweise der Gemeindeverwaltung Kall zum Gewerbegebiet III dargestellt wird. Diese Sichtweise ist allerdings nur eine Möglichkeit, die Dinge zu betrachten. Was in dieser Darstellung zu kurz kommt – und was man der Bevölkerung gegenüber der Ehrlichkeit halber auch mitteilen muss – ist eine gänzlich andere Sichtweise, nämlich aus der politischen Perspektive. Nachfolgend daher eine Beurteilung des GG III aus Sicht unserer Fraktion.
Aus der projektbezogenen Sichtweise einer Gemeindeverwaltung ist der weitgehende Verkauf der Flächen nachvollziehbar als ein Erfolg einzustufen. Doch diese in Bezug auf die Verwaltung „betriebswirtschaftliche“ Betrachtung blendet die Auswirkungen auf übergeordneter Ebene aus.
Auf politischer Ebene müssen aber die Fragen gestellt werden: Was gewinnen wir mit einer Maßnahme? Welche Folgen verursacht sie?
Politik hat die Aufgabe, für das Gemeinwesen im Ganzen zu sorgen. Wenn man das GG III unter dieser Prämisse betrachtet, gibt es keinen Erfolg zu bejubeln.
Betrachtet man z.B. die ersten beiden dort entstehenden Firmengebäude: bei der einen Firma handelt sich um einen Umzug aus dem GG I, bei der anderen Firma um eine Verlagerung aus einem knapp 5 km entfernten Ortsteil der Gemeinde Mechernich. Entstehen dadurch neue Arbeitsplätze? Wohl kaum. Sieht man sich die Lage bei den Käufern der letzten Zeit im GG II und GG III an, stellt man fest, dass sich dort insgesamt zehn (!) Firmen ansiedeln (bei genauerer Betrachtung sind es womöglich noch mehr), die ihren Standort bislang in Kall selbst oder den Nachbargemeinden Schleiden, Mechernich und Hellenthal haben. Nicht nur, dass durch diese lokalen Umzüge eben keine neuen Arbeitsplätze entstehen, es entsteht an anderer Stelle im unmittelbaren Umfeld von Kall Leerstand.
Und auch Kall selbst hat bereits mit brachliegenden Gewerbeflächen zu tun, wie dem ehemaligen Milzgelände oder dem ehemaligen Sägewerk an der Trierer Straße. Außerdem blieben im GG II jahrelang größere bereits verkaufte Flächen unbebaut und einige sind es heute noch – da bleibt es vorerst abzuwarten, ob aus Verkäufen auch Nutzungen und aus Nutzungen auch wirkliche Zuwächse entstehen.
Wenn man sich auf den Standpunkt stellt, dass man sich nur um die eigene Gemeindekasse zu kümmern hat, könnte man im Ausverkauf des GG III zumindest einen Erfolg bei der Abwerbung von Unternehmen aus den Nachbarkommunen sehen. Aber wenn uns die derzeitige Corona-Krise doch wohl eines vor Augen geführt hat, dann dass langfristig ein gesundes Staatswesen und Solidarität eine unabdingbare Grundlage sind, um gemeinsam und dauerhaft in einer sich wandelnden Welt zu bestehen.
Das bedeutet, dass wir auf der politischen Ebene unser Handeln nicht nach kurzfristigen Gewinnen auf betriebswirtschaftlicher Basis ausrichten dürfen, sondern nach volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten und im Sinne des langfristigen Wohlergehens aller. Für wen die Welt an den Kaller Gemeindegrenzen endet, der kann sich für kurzfristige Strohfeuer-Effekte auf die Schulter klopfen. Ein Politiker, der das Ganze im Blick hat, wird sich damit nicht brüsten!
Aberwitzige Konzepte als Planungsgrundlage?
Damit kommen wir zu der Frage, welchen Sinn Zukunftspläne für ein Gewerbegebiet IV in Kall ergeben. Dazu muss man zunächst verstehen, mit welcher Datenbasis bei diesen Plänen argumentiert wird.
Im 2019 vorgestellten Kreisentwicklungskonzept KEK einer Beratungsfirma wurden für Kall grotesk hohe Zahlen für den zukünftigen Bedarf an sowohl Wohn- wie Gewerbeflächen bis zum Jahr 2040 vorgelegt. Wenn man diese Zahlen einmal visualisiert bedeutet das für die Kommune Kall einen wundersamen Mehrbedarf an Wohnfläche, der den kompletten Ort Kall ausmacht, also eine Fläche so groß, dass die halbe Gemeinde darin wohnen könnte. Selbst ohne das genauer zu hinterfragen: Wer glaubt ernsthaft, dass unsere Gemeinde in den nächsten Jahren eine solche Bevölkerungsexplosion erleben wird, dass wir zwanzig Jahre lang alle zwei Jahre einen neuen Ort in der Größe von Scheven oder Golbach zusätzlich aus dem Boden stampfen müssten, um Schritt zu halten?
Die Bevölkerungsprognosen zeigen eindeutig in die andere Richtung, nämlich dass Deutschland insgesamt und besonders der ländliche Raum im Jahr 2040 weniger Bevölkerung haben wird. Vor allem die Bevölkerungs-gruppe der Berufstätigen wird überproportional stark schrumpfen.
Ähnlich sieht es bei den Gewerbeflächen der Gemeinde Kall aus. Hier hat vor wenigen Wochen die Bezirksregierung Köln dem Wunschdenken der Gemeinde eine Abfuhr erteilt, indem sie die im Flächennutzungsplan bereits ausgewiesenen noch unbebauten Gewerbeflächen als größer einstuft, als den langfristigen Bedarf der Gemeinde. Es gibt aus Sicht der Bezirksregierung keinen Grund, ein weiteres Gewerbegebiet IV zu erschließen! Die Gesamtfläche aller Gewerbegebiete im Kreis Euskirchen ist von 2007 bis 2017 innerhalb zehn Jahren ohnehin schon um 18,2 % gestiegen. Auch Berichte des Siedlungsflächenmonitorings in NRW heben mehrfach die Kreise Euskirchen und Düren als NRW-Spitzenreiter sowohl bei den Reserven für Wohn- wie Gewerbeflächen pro Kopf der Bevölkerung bzw. Beschäftigten hervor!
Gleichzeitig wird festgestellt, dass nicht die Nachfrage aus Bevölkerung oder Wirtschaft diesen Flächenvorrat rechtfertigt, sondern die Politik diese Flächen entwickelt in der Hoffnung, es möge sich Bedarf finden. Das ist eine Erklärung dafür, wieso dann in der Folge Umzüge von einem Gewerbegebiet ins benachbarte Gebiet stattfinden, ohne dass ein wirklicher Mehrwert entsteht.
Zusätzlich ist nun jüngst der Umstand dazugekommen, dass die bislang unbebaute riesige Gewerbefläche „PrimeSite Rhine Region“ bei Euskirchen wohl in Kürze für den lokalen Bedarf vermarktet werden wird. Auch das spricht gegen jegliche Erweiterungspläne für einen Ausbau von Gewerbeflächen in der Gemeinde Kall.
Ökologische Aspekte? Fehlanzeige!
Das bisher Gesagte stellt aber nur die wirtschaftlichen Aspekte dieses Flächenverbrauchs in Frage. Die ökologische Dimension dieses Verbrauchs an Bodenfläche kam noch gar nicht zur Sprache. Wie eingangs erwähnt: Politik hat sich auch mit den Folgen jeglichen Handelns für das Gemeinwesen zu befassen. Und das Gemeinwesen sind in diesem Fall nicht nur die Kaller, sondern auch die umliegenden Kommunen und noch mehr. Neben den derzeitigen Betroffenen dieser Entwicklung muss Politik auch die zukünftig Betroffenen im Blick haben: die Menschen, die lange nach uns hier und überall mit den Auswirkungen unseres heutigen Handelns leben müssen.
Damit sind wir bei der langfristigen Sicherung unserer Lebensgrundlagen, im Unterschied zu kurzfristigen Gewinnaussichten, und sprechen über die Themen Artenschutz und Klimawandel.
Ignoranz und Kaffeesatz
Wie sehr trotz des heute allgemeinen Wissens um dramatische Rückgänge der Artenvielfalt insbesondere bei Vögeln und Insekten immer noch diese Dimension des Handelns unbeachtet bleibt, kann man immer wieder bei der Ausweisung neuer Bauflächen miterleben. Das Gewerbegebiet III war da keine Ausnahme. Wer die Gegend aus früheren Zeiten kennt weiß, dass auf den Flächen des heutigen Gewerbegebiets III in den letzten Jahrzehnten die Zahl und Vielfalt der Feldvögel abgenommen hat. Von den Baumaßnahmen zum GG III direkt betroffen waren jetzt mehrere auf der Roten Liste der bedrohten Arten stehende Feldlerchenpaare, die dort brüteten. Erst nach vorheriger Aufforderung wurden entsprechende Artenschutzmaßahmen eingeleitet und ein Monitoring der Maßnahmen beauftragt. Auf die Vorlage des fertigen Berichts warten die Fraktionen seit über einem Jahr. Die bislang nur mündlich erfolgte Präsentation der Ergebnisse im Gemeinderat im März 2019 lässt befürchten, dass unter Artenschutzaspekten manches zu bemängeln ist. Dass Artenschutzmaßnahmen nicht den Bestand verdrängter Populationen zusichern, sondern bestenfalls die Möglichkeit dafür eröffnen, gravierende Verschlechterungen zu vermeiden, wird sich manchen Akteuren wohl nur sehr langfristig vermitteln lassen.
Gravierend ist ebenso die Tatsache, dass für dieses Gebiet und die für ein zukünftiges GG IV vorgesehenen Flächen zwischen GG III und Wallenthaler Höhe in einem im Mai 2020 vom Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz LANUV vorgestellten Fachbeitrag das kreisweit höchste Defizit an ökologischer Funktionalität festgestellt wird.
Das LANUV hat im Mai 2020 den "Fachbeitrag des Naturschutzes und der Landschaftspflege für die Planungsregion des Regierungsbezirks Köln" publiziert, in dessen Karten-Anlage zum Kreis Euskirchen zwei „Maßnahmenschwerpunkte Entwicklung und Wiederherstellung“ in Bezug auf das "Biotopverbundsystem Verbundschwerpunkt Wald" verzeichnet sind. Im gesamten Gebiet des Kreises Euskirchen werden nur zwei Maßnahmen dieser dritten Kategorie von Defiziten aufgeführt, welche eine Wiederherstellung ökologischer Funktionen fordert. Eine der beiden Maßnahmen betrifft die Autobahn A1, welche Habitate zerschneidet und für einige Tierarten ein schwer oder gar nicht zu überwindendes Hindernis bedeutet. Die andere Maßnahme, „Maßnahme 3.1 - Fehlende Verbindungselemente für korridor- bzw. trittsteinabhängige Zielarten der Waldgilde“, betrifft das Gebiet in den Ortslagen Scheven und Wallenthal. Dort zerschneidet die ackerbaulich geprägte Landschaft umliegende Habitate, genauer gesagt den Zusammenhang nord-westlich und süd-östlich gelegener Gebiete mit besonderer bzw. herausragender ökologischer Bedeutung.
Entsprechend hat die Maßnahme 3.1 das Ziel, Verbundachsen für besonders schützenswerte Arten in diesem Bereich zu entwickeln. In der Karten-Anlage werden Rotwild, Wildkatzen und Tagfalter als betroffene bzw. schutzbedürftige Tierarten genannt, für die in diesem Gebiet Wanderkorridore zur Vernetzung der Biotopverbundsysteme geschaffen werden müssen. Darüber hinaus werden für das Gebiet auch Maßnahmen der Kategorien 1 und 2 für Tierarten anderer Verbundsysteme ausgewiesen, darunter für Rotmilan, Neuntöter und Bartfledermaus.
Im Umweltbericht zum Landschaftsplan 2020 für den Bereich Kall wird auf diese vom LANUV dokumentierten Defizite allerdings an keiner Stelle hingewiesen. Allerdings wird folgender methodischer Mangel eingeräumt:
„Durch das LANUV bereitgestellte Informationen zu den einzelnen Schutzgebieten in der Gemeinde Kall sind teilweise bis zu über 20 Jahre alt. Erfolgte Kartierungen und Bestandsaufnahmen können daher veraltet sein und nicht mehr oder nur noch zum Teil dem heutigen Zustand entsprechen.“
Bei Planungen zum Flächenverbrauch wird also beim Thema der ökologischen Folgen mit hoffnungslos veralteten Daten gearbeitet, während bei den ökonomischen Grundlagen mit nicht belastbaren Prognosen in die Zukunft operiert wird.
Weder aus wirtschaftlichen Erwägungen noch unter Umweltgesichtspunkten kann also beim GG III und den Plänen für ein GG IV in der Gemeinde Kall von einem großen Erfolg gesprochen werden. Sicher ist bislang nur, dass die Herrichtung der Gewerbeflächen Kosten verursacht und unter ökologischen Gesichtspunkten negative Auswirkungen hat. Ob die Gewerbeflächen letztlich überhaupt einen ökonomischen Gewinn bringen, bleibt offen. Hält man dem dann die ökologischen Beeinträchtigungen gegenüber, fällt das Ergebnis noch ernüchternder aus.