14. Juli 2014
"Wind of Change" oder nur Turbulenzen?
Das Lied „Wind of Change“ der Band Scorpions wurde in den 90er Jahren zur Hymne der politischen Wende in Deutschland. Es zitiert eine Äußerung Willy Brandts zum Mauerfall über „Winde der Veränderung, die seit einiger Zeit über Europa ziehen“. Brandt hatte mit seiner neuen Ostpolitik politische Weitsicht gezeigt und ebnete lange vor dem Mauerfall den Weg zur deutschen Wiedervereinigung.
Der Wind der Veränderung weht auch heute über Europa, aber anders als damals betrifft dies nicht politische Ansichten oder Standpunkte, sondern diesmal geht es um existenzielle Tatsachen: der Jahrtausende alte Weg der Energieerzeugung mittels fossiler Brennstoffe hat sich als Sackgasse entpuppt. Ein Technologieexperte formulierte es sinngemäß einmal so: „Die Nutzbarmachung des Feuers war einst der größte Schritt für die Fortentwicklung der Menschheit. Heute steht die Menschheit vor der großen Aufgabe, sich vom Feuer wieder unabhängig machen zu müssen.“ Fossile Energieträger wie Öl, Gas und Kohle oder Holz müssen zur Entfaltung ihres energetischen Potenzials verbrannt werden. Dabei wird Kohlendioxid freigesetzt, was unsere Atmosphäre verändert und somit einen weltweiten Klimawandel bewirkt. Außerdem neigen sich die seit der Industriealisierung rapide ausgeschöpften fossilen Brennstoffvorräte ihrem Ende zu. Es ist heute Gegenstand der wissenschaftlichen Debatte, ob der als »Peak Oil« bezeichnete Zeitpunkt, ab dem die weltweiten Erdölfördermengen zurückgehen werden, bereits erreicht wurde oder innerhalb weniger Jahre erreicht werden wird. Allgemein angenommen wird, dass das Überschreiten von »Peak Oil« jedenfalls erst im Nachhinein anhand empirischer Daten nachgewiesen werden könnte. Der Internationale Währungsfond IWF attestierte im Jahr 2011, dass die weltweite Ölförderung seit dem Jahr 2005 Anzeichen einer Stagnation aufweist. Die Internationale Energieagentur schätzte 2012 die Lage so ein, dass für konventionelles Rohöl bereits im Jahr 2008 Peak Oil erreicht wurde. Berücksichtigt man alle überhaupt denkbaren Formen von Ölvorkommen inklusive sogenannter „unkonventioneller“ schwer förderbarer Vorkommen (wie sie z.B. durch Fracking teilweise erschlossen würden), wird »Peak Oil« in den spätesten Prognosen für etwa 2035 erwartet.
Was sind die globalen Folgen dieser Entwicklung?
Für den Fall einer Verknappung der weltweiten Erdölfördermenge um jährlich weniger als 4% prognostiziert der IWF einen Anstieg der Ölpreise um 800% in einem Zeitraum von zwanzig Jahren. Dabei beziehen diese Rechnungen ausdrücklich keine Sondereffekte ein, wie die strategische Verknappung von Öl durch einzelne Staaten oder den zunehmenden Investmenthandel mit Öl an den Finanzbörsen. Abgesehen von der aus westlicher Sicht nachteiligen Tatsache, dass die weltweit relevanten Erdölvorkommen in politischen Krisenregionen liegen, hat uns auch die aktuelle Krise in der Ukraine deutlich gemacht, wie abhängig unsere Gesellschaft vom Import von Öl und Gas ist und wie schnell wir in eine ernste Versorgungskrise schlittern könnten.
Als Ausweg aus der für die allgemeine Weltwirtschaft fatalen Vorhersage der Verknappung fossiler Brennstoffe schlägt der Internationale Währungsfonds vor, durch alternative Energieformen den Verbrauch von Gas und Erdöl vorbeugend zu reduzieren, um die zu erwartenden radikalen wirtschaftlichen Umwälzungen abzumildern. Und auch das Fazit des Weltklimarates der UNO im April 2014 ist eindeutig: die Umstellung auf regenerative Energieformen wie Wind und Sonne ist unumgänglich und muss so schnell wie möglich erreicht werden!
Was folgt daraus für uns?
»Global denken. Lokal handeln.« - dies war seit jeher und ist immer noch Leitmotiv der Grünen Bewegung. Um auf die genannten globalen Herausforderungen zu reagieren hat die rot-grüne Landesregierung NRW im Jahr 2011 das Ziel erklärt, in NRW den Anteil der Windkraft an der Energieerzeugung von knapp 3% auf 15% im Jahr 2020 zu steigern. Heute ist es im doppelten Sinne absolut notwendig, den „Wind of Change“ ernst zu nehmen und neben anderen regenerativen Energiequellen auch in den Kommunen zu prüfen, ob und wo wir Windenergie erzeugen können. Dass dies nach Recht und Gesetz und unter Beteiligung der Bürgerinteressen zu geschehen hat, ist selbstverständlich und seit jeher Kern grüner Politik.
Die vor uns liegenden unabwendbaren Entwicklungen lassen uns aber keine Wahl ob wir den Umstieg auf regenerative Energien überhaupt vollziehen wollen oder nicht: es geht lediglich um die Frage, ob wir den Umstieg so rechtzeitig vollziehen können, dass es uns gelingt die gravierendsten wirtschaftlichen, politischen und ökologischen Folgen abzumildern, oder ob wir lieber weiterhin auf Zeit spielen – in der Hoffnung auf …?
Ja, auf was eigentlich? Vielleicht sollte man diese Frage den Vertretern von SPD und FDP stellen, die in der letzten Sitzung des Ausschuss für Bau, Planung, Tourismus und Wirtschaft geschlossen dafür gestimmt haben, der Verwaltung der Gemeinde Kall mit sofortiger Wirkung zu untersagen, eine noch unter ihrer Ratsmehrheit beschlossene Prüfung eines Windparkstandortes auf dem Wackerberg fortzusetzen. Dabei zeigte sich in der Sitzung selber, wie wenig fundiert ihre Standpunkte sind: zunächst wurde von Seiten der FDP der nebulöse Vorwurf an Grüne und CDU gerichtet, man wolle hier am laufenden offenen Prüfverfahren vorbei Tatsachen schaffen. Die SPD beantragte daraufhin „spontan“ der Verwaltung jegliche weitere Prüfung zu untersagen – am laufenden Prüfverfahren vorbei? Nach wenigen Nachfragen und einer Wortmeldung von Herrn Becker vom Planungsbüro Becker, in der er den Parteien nahelegte, aufgrund geltender Sach- und Rechtslage auch weiterhin Prüfverfahren durchzuführen, distanzierten sich sowohl SPD als auch FDP von dem zuvor gestellten SPD-Antrag. Als wenig später der Ausschussvorsitzende den Tagesordnungspunkt schließen wollte, bestand die SPD allerdings wiederum auf Abstimmung über ihren zuvor selbst in Abrede gestellten Antrag. Das Ergebnis: FDP und SPD stimmen einträchtig gegen ihren früheren Beschluss zur Prüfung und entgegen ihrer zuvor noch in der Sitzung erfolgten eigenen Äußerungen. Statt von einem „Wind of Change“ scheinen die Vertreter eher von Turbulenzen ergriffen worden zu sein. Mit den Stimmen von CDU und Grünen wurde verhindert, dass hieraus für die Gemeinde nachteilige Konsequenzen entstanden.
Wie kann man solches Verhalten erklären? Dass sich SPD und FDP nach dem für sie negativen Ausgang der Kommunalwahl sicherlich erst zurecht finden müssen, sei ihnen zugestanden. Man spürt jedoch in der deutlichen Aggressivität verschiedener jüngster Äußerungen ein gehöriges Maß an Verbitterung heraus. Verbitterung ist allerdings kein guter Ratgeber. Wir können nur wünschen, dass SPD und FDP diesen Zustand bald überwinden. Die vor uns liegenden Aufgaben erfordern das ernsthafte Bemühen aller im Rat vertretenen Parteien, konstruktiv im Sinne der ganzen Gemeinde Kall zusammenzuarbeiten.