09. Februar 2025
Die Kontroverse um die Windkraftkonzentrationszone Wackerberg
Seit mehreren Monaten werden Vertreter politischer Parteien in der Gemeinde Kall von Privatpersonen per E-Mail bezüglich der Ausweisung einer Windenergiezone im Waldgebiet um den Wackerberg angeschrieben. Offenbar steht diese Fülle an E-Mails im Zusammenhang mit der Kampagnenarbeit eines Besitzers einer Gewerbeimmo-bilie mitten im betreffenden Wald. Nachfolgend legen wir – Ortsverband und Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Kall – unsere Sichtweise auf die Thematik dar.
Fossile Energie und der Schutz des globalen Klimasystems
Der Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energie ist eine wissenschaftlich belegte Notwendigkeit. Eine andauernde weltweite Nutzung fossiler Energie beeinträchtigt das Klimasystem der Erde mit seinen komplexen Abhängigkeiten. Diese Klima-Veränderung hat wiederum gravierende Auswirkungen auf das Ökosystem der Erde sowie die Lebensräume von Menschen und Tieren. Selbst wenn das Klimasystem der Erde nicht durch die Verbrennung fossiler Energieträger wie Erdgas und Erdöl geschädigt würde, müssten Ersatzlösungen alleine schon deshalb entwickelt werden, weil die Vorräte an fossilen Brennstoffen endlich sind – Stichwort Peak Oil. Das stellt niemand, der auf dem Boden wissenschaftlicher Methodik argumentiert, in Frage. Es geht daher zentral nicht um die Frage, ob man die Nutzung fossiler Energie beenden muss, sondern mit welchen alternativen Methoden wir diesen Schritt bis wann erreichen sollten. Es besteht allerdings in der Europäischen Union darüber Konsens, dass das bisherige Tempo beim Umstieg auf regenerative Energie zu langsam ist, um katastrophale Auswirkungen auf die Natur und unsere Gesellschaften zu vermeiden. Deshalb hat die EU im Dezember 2022 in einer sogenannten Notfallverordnung beschlossen, die Genehmigungsverfahren zum Ausbau der Erneuerbaren Energien zu beschleunigen.
Der zügige Ausbau Erneuerbarer Energien ist demnach wichtig im Interesse aller Menschen – also im „öffentlichen Interesse“ – und in diesem speziellen Fall sogar von globalem Interesse. Andere Dinge des öffentlichen Interesses sind z.B. der Bau und Unterhalt von Infrastruktur wie Straßen, Bahnlinien, Schulen oder Krankenhäusern. Und selbstverständlich sind der Erhalt der Umwelt und eines stabilen Klimasystems ebenfalls von öffentlichem oder sogar globalem Interesse. Unter anderem deshalb zahlen verschiedene Industriestaaten Milliarden zum Schutz des Amazonas Regenwaldes, da dieser eine wichtige Funktion für das weltweite Klima und Ökosystem besitzt. Dieser Schutz ist insbesondere deshalb notwendig, um dem fortschreitenden Raubbau an Flächen des Amazonas Regenwaldes aus privatwirtschaftlichen Interessen zu begegnen.
Abwägung des öffentlichen Interesses gegenüber anderen Belangen
Wenn also in Deutschland der Bau einer Windenergieanlage in einem Waldgebiet geprüft wird, wird das öffentliche Interesse an regenerativer Energieerzeugung gegenüber anderen Belangen des öffentlichen Interesses abgewogen, wie eben dem Schutz von Natur oder möglichen Interessen von Anwohnern. Diese Abwägung findet in seit Jahren etablierten Abläufen auf übergeordneter Ebene nach öffentlichem Recht statt und war bislang sehr zeitraubend. In unserem Bundesland NRW wird die oben genannte EU Notfallverordnung deshalb umgesetzt, indem die bisherige Fülle an Einzelfallprüfungen durch ein systematischeres Vorgehen reduziert – nicht gänzlich ersetzt – wird. Wo bereits Daten zum Artenbestand vorliegen und eine strategische Umweltprüfung stattgefunden hat, sollen diese nun als Basis für Artenschutzmaßnahmen dienen. In bereits ausgewiesenen Windenergiegebieten kann dann nach dem beschleunigten Verfahren gearbeitet werden. Bei besonders schutzwürdigen Flächen, etwa Nationalparks oder besonderen Naturschutzgebieten, gilt allerdings weiterhin das bisherige, nicht beschleunigte Prüfungsverfahren.
Im Verlauf des Prüfungsprozesses können Institutionen und betroffene Anwohner ihre Bedenken oder Interessen schriftlich einbringen. Das gilt auch für die kommunalen Vertreter der Gemeinde, in denen eine Windenergiezone eingerichtet oder ein Windrad errichtet werden soll.
Die Kampagne gegen Windkraft am Wackerberg
Was nun in der seit Monaten betriebenen Kampagne eines Hausbesitzers am Wackerberg auffällt – abgesehen von Übertreibungen, Dramatisierungen und dem verächtlich machen von Personen, deren E-Mails in aller Öffentlichkeit präsentiert und ins Lächerliche gezogen werden – sind die Argumente, die bemüht werden, aber auch was nicht gesagt wird.
Bereits im ersten sogenannten „Gesprächsangebot“ des Kampagnenbetreibers an lokale Politiker wurde der Vorwurf erhoben, dass wer den Bau einer Windkraftanlage am Wackerberg unterstütze, sich des „Totschlags“ schuldig mache, denn durch die dortige Versiegelung von Waldfläche würden Einwohner von Kall einem tödlichen Risiko ausgesetzt, wenn es erneut zu Starkregen komme. In weiteren E-Mails von Unterstützern der Kampagne wird bemängelt, dass beim Bau von Windrädern Balsa-Holz verwendet werde. Und natürlich werden auch die berechtigten Hinweise auf den Schutz von Fauna und Flora genannt.
Das letzte Argument – der Schutz von Tieren und Pflanzen – ist stichhaltig und wird im geordneten Prozess des Entscheids über eine Baugenehmigung geprüft, je nach Sachlage im beschleunigten oder herkömmlichen Verfahren. Die Gemeinde Kall und ihre politischen Vertreter haben im Januar 2025 einstimmig dafür gestimmt, dass entgegen den Planungen der übergeordneten Behörden beim Prüfungsverfahren am Wackerberg alle Belange explizit geprüft werden und es nicht zu einem beschleunigten Verfahren kommt. Damit hat die Kaller Politik zum jetzigen Zeitpunkt des Verfahrens ihre Möglichkeiten genutzt, um bei der Abwägung des öffentlichen Interesses an Naturschutz auf der einen Seite und des öffentlichen Interesses an regenerativer Energie auf der anderen Seite möglichst gründlich vorzugehen.
Was das Argument der Kampagnenunterstützer angeht, dass beim Bau von Windrädern auch Balsa-Holz genutzt wird und dafür tropische Wälder abgeholzt würden: teilweise wird tatsächlich noch Balsa-Holz in Rotorblättern verwendet. Der Anteil sinkt jedoch stetig und betrifft weniger als 30% der Anlagen in Deutschland. Zunehmend werden stattdessen Kunststoff-Schäume eingesetzt, was auch das Recycling der Blätter vereinfacht. Allerdings ist Balsa-Holz nicht – wie oft suggeriert wird – ein bedrohtes tropisches Gehölz, sondern wird weltweit angebaut, weil es eine schnell wachsende Pflanze mit breiter Verwendung in vielen Industriezweigen ist. In Bezug auf die Klimabilanz sind Windräder nach übereinstimmenden Untersuchungen deutlich nachhaltiger als fossile Kraftwerke.
Kein Verständnis haben wir für die Behauptung, der Bau von Windkraftanagen auf dem Wackerberg würde die Kaller Bevölkerung bei Starkregenereignissen ernsthaft gefährden. Die durch ein Windrad versiegelte Fläche macht im Vergleich zum betrachteten Waldgebiet einen winzigen Anteil aus - sehr viel weniger, als vom Kampagnenbetreiber behauptet wird. Schon daraus lässt sich ableiten, dass auch die ins Tal abfließenden Wassermengen nur zu einem winzigen Anteil von einem Windradfundament stammen können. Sofern der Waldboden trocken ist, ist davon auszugehen, dass beim Abfluss von der Kuppe des Wackerbergs eine geringe Zusatzmenge an Wasser von bergab liegendem Boden aufgenommen wird. Sofern man von tagelangen Regenfällen ausgeht, die den Waldboden gesättigt und damit die Wasseraufnahmekapazität erschöpft hätten, würde das Wasser nachfolgender Regenfälle oberflächlich ablaufen und nicht aufgesogen werden – unabhängig davon, ob auf der Kuppe ein Betonfundament steht oder nicht. Eine uns vorliegende Einschätzung eines Experten für Starkregenereignisse teilt daher unsere Einschätzung: eine Gefährdung bergab liegender Ortsteile durch Windkraft am Wackerberg ist eine Behauptung, die jeder sachlichen Grundlage entbehrt.
Interessant ist in diesem Zusammenhang jedoch, was vom Kampagnenbetreiber und seinen Unterstützern nicht gesagt wird. Nähme man nämlich das Argument tatsächlich ernst, dass jede Versiegelung auf dem Wackerberg eine lebensbedrohliche Gefährdung der Kaller Bevölkerung darstellt und sich Politiker, die einen entsprechenden Bau nicht verhindern, des Totschlags schuldig machten, müsste die logische Konsequenz diese sein: die Kaller Politik müsste zum Schutz der Bevölkerung darüber nachdenken, jegliche vorhandene Versiegelung im Bereich des Wackerbergs zu beseitigen. Das beträfe aber wiederum die Interessen des Kampagnenbetreibers, der durch den Betrieb eines „Luxurious Hideaway“, einer Wellness-Anlage für bis zu sechzehn zahlende Gäste mit Sauna, Schwimmteich und Hobbit-Häusern, in erster Linie zur Versiegelung am Wackerberg beiträgt und somit – nähme er seine eigenen Behauptungen ernst – sich des Vorwurfs aussetzt, aus privatwirtschaftlichen Gewinn-Interessen das Leben der Kaller Bevölkerung aufs Spiel zu setzen.
Es gibt darüber hinaus weitere Aspekte zum Betrieb einer Wellness-Anlage im Wald, in Bezug auf die Abwägung des öffentlichen Interesses gegenüber den privatwirtschaftlichen Interessen eines Unternehmers. Dieser 5 km vom Kaller Bahnhof mitten im Wald gelegene Beherbergungsbetrieb benötigt wie jeder andere Haushalt Anschluss an Infrastruktur wie Zuwegung, Wasserversorgung, Strom- oder Telefonleitung. Alleine der Glasfaser-Anschluss dieser Gewerbeimmobilie mitten im Wald hat den Steuerzahler seinerzeit vermutlich weit über hunderttausend Euro gekostet. Finanziert durch den Bund, das Land NRW und den Kreis Euskirchen – und damit auch durch die im Kreis ansässigen Steuerzahler – wurde der Wackerberg bereits im Jahr 2020 mit Highspeed-Internet versorgt. Der Unterhalt der Wasser- und Stromleitungen dürfte ebenfalls kostspielig sein und damit Auswirkungen auf die Höhe der Gebühren aller Haushalte im Versorgungsnetz haben. Nicht zuletzt muss die Gemeinde Kall jedes Jahr mehrere zehntausend Euro zur Unterhaltung ihrer Wirtschaftswege aufwenden, auch zur Anbindung des Wackerbergs. Auch diese Kosten werden von der Allgemeinheit getragen. Ein so fernab jeglicher anderer Infrastruktur betriebener Haushalt verursacht für die Allgemeinheit außerordentliche Kosten, die ein Vielfaches eines in einem Ortsteil gelegenen Haushalts ausmachen. Wenn man also die gleichen Kriterien an den Bau einer privatwirtschaftlich genutzten Wellness-Anlage mitten im Wald anlegen wollte, wie an den Bau einer im öffentlichen Interesse liegenden Versorgung mit regenerativer Energie, dürfte es diese Gewerbeimmobilie mitten im Wald nicht geben. Dass nun ausgerechnet vom betreffenden Betreiber mit Verweis auf angeblich lebensgefährliche Auswirkungen durch Bodenversiegelung gegen den Bau einer Windkraftanlage auf dem Wackerberg polemisiert wird, ist insofern irrational.
Dass ein Betreiber einer Wellness-Anlage durch ein Windrad in der Nähe womöglich seine privatwirtschaftlichen Interessen beeinträchtigt sieht, wäre ein zu erwartendes, nachvollziehbares Argument. Allerdings taucht das in der lautstarken Kampagne nicht auf. Man kann also vermuten, dass der Betreiber der Kampagne bezüglich der Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an nachhaltiger Energie und dem privatwirtschaftlichen Interesse eines Einzelnen selbst nicht davon ausgeht, dass seine privaten Belange die der Öffentlichkeit überwiegen. Insofern scheinen die vorgetragenen Argumente gegen die Windkraftanlage am Wackerberg ein bloßes Konstrukt zu sein, um eigene Belange gegen die der Öffentlichkeit durchzusetzen.
Zusammengefasst
Aus Sicht von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sollte das reguläre Verfahren der Genehmigungsplanung am Wackerberg durchlaufen werden, um zu einer vernünftigen Abwägung aller verschiedenen Belange zu kommen. Dass es Bemühungen gibt, diesen Prozess durch eine äußerst unsachlich geführte Kampagne zu Gunsten einzelner Interessen zu beeinflussen, bedauern wir. Wir unterstützen diese Kampagne daher explizit nicht.
Quellen:
- https://landesplanung.nrw.de/faq-sammlung-windenergieausbau
- https://www.wirtschaft.nrw/themen/energie/erneuerbare-energien/task-force-ausbaubeschleunigung-windenergie-nrw
- https://landesplanung.nrw.de/erlass-zum-beschleunigten-ausbau-der-erneuerbaren-energien-nordrhein-westfalen-kraft-gesetzt
- https://dpa-factchecking.com/germany/230614-99-54134/